Darüber sprach Dr. Thomas Schnabel, Direktor des Hauses der Geschichte in Stuttgart, am Dienstag, 15. März 2016 bei der Senioren Union Leonberg.
Eugen Bolz war ein gläubiger Katholik und überzeugter Parlamentarier.
im Januar 1912 wurde er mit gerade einmal 31 Jahren in den Reichstag gewählt. Ende desselben Jahres schickten ihn die Zentrumswähler als ihren Vertreter auch in den Halbmondsaal, den württembergischen Landtag in Stuttgart. Allerdings konnte er zunächst keine große parlamentarische Aktivität entwickeln, da bereits am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach Bolz stand allem Militärischen eher kritisch gegenüber und lehnte den Krieg ab. Vom 30. März 1915 bis zum 25. Mai 1916 war er als Leutnant im Oberelsass stationiert und hatte an Stellungskämpfen teilgenommen. Danach war er in Brüssel und in Berlin bei der Reichsentschädigungskommission und im Reichstag beschäftigt. Er erhielt mehrere Orden.
Das Ende des Krieges begrüßte er, und die politischen Veränderungen im Gefolge der Niederlage schienen ihm eine logische Fortsetzung der bereits im Königreich eingeleiteten demokratischen Reformen. Die Demokratie war kein Fremdkörper im Südwesten, sondern ein politisches System, das von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wurde.
Bolz machte in Württemberg sehr schnell Karriere. Bereits im Oktober 1919, noch nicht einmal 39 Jahre alt, wurde er Justizminister. Im Juni 1923 übernahm er das Innenressort, das er bis 1933 innehatte. Zunächst arbeitete er in einer Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und Linksliberalen, später in einer bürgerlichen Minderheitsregierung und nach den Landtagswahlen vom Mai 1924 in einer Mitte-Rechts-Koalition aus DNVP, Württembergischer Bauern- und Weingärtnerbund und Zentrum. Obwohl Staatspräsident Bazille (DNVP) in weiten Kreisen der Republik als Reaktionär betrachtet und seine Schulpolitik als äußerst rückständig eingeschätzt wurde, funktionierte die Zusammenarbeit. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass das württembergische Zentrum konservativer war als z.B. in Baden. Trotz regelmäßiger, vor allem publizistischer Reibereien funktionierte die Regierungsarbeit zwischen evangelischem Bauern- und Weingärtnerbund/DNVP und katholischem Zentrum. 1928 übernahm Eugen Bolz zusätzlich das Amt des Staatspräsidenten, nachdem seine Partei bei der Landtagswahl trotz herber Verluste zur stärksten Regierungspartei geworden war.
In einer Landtagsdebatte im April 1929 erläuterte Bolz sein Verständnis der Arbeit für die Republik, da seiner Regierung immer wieder vorgeworfen wurde, dass ihr eine klare und richtige Einstellung fehle. Demgegenüber erklärte Bolz: "Die beste Empfehlung der Republik ist, wenn nicht allzuviel von ihr geredet wird und man sich bemüht durch sachliche Arbeit, die Republik dem Volke nahe zu bringen, ohne große Worte zu machen." Diese Aussage hatte aber auch damit zu tun, dass in der Regierung Befürworter der Republik, wie das Zentrum, mit Gegnern der Republik, wie den Deutschnationalen und dem Bauernbund zusammenarbeiteten.
Die letzten Regierungsjahre von Eugen Bolz waren von der Weltwirtschaftskrise und ihren politischen Folgen überlagert. Die tiefste Ursache sah er im Krieg mit seinen enormen Verlusten.
Bolz wollte durch rigoroses Sparen, auch bei den Löhnen, billiger produzieren, um damit die Erzeugnisse besser verkaufen zu können. Diese rigide Sparpolitik führte zu einer immer größeren Verelendung der Bevölkerung und damit zu einer politischen Radikalisierung.
Allerdings glaubte Bolz an die nüchterne Urteilskraft seiner Landsleute. Dem NSDAP-Abgeordneten und späteren Ministerpräsidenten zwischen 1933 und 1945 Christian Mergenthaler hielt er in einer heftigen Debatte entgegen: "..., ich habe den Glauben an den gesunden Sinn unseres Volkes und namentlich unseres Schwabenvolkes, daß es sich nicht allzulange nur verhetzen und mit Phrasen abspeisen läßt, sondern daß es, wie es den Schwaben eben liegt, sich fragt, was soll dabei herauskommen, warst du richtig beraten. Ich bin überzeugt, daß es dann wieder den Weg zurückfindet zu dem 'Brei' in der Mitte, der nötig ist, um unser deutsches Volk zur Gesundung zu führen."
Eugen Bolz war sich der Stabilität des württembergischen politischen Systems sicher, wie er im Februar 1931 vor dem Landtag ausführte: "Ich glaube, wir haben in Württemberg nichts zu fürchten. Wir haben die Kraft auch bei politischen Verwicklungen Herr zu bleiben und wir haben den Willen dazu, die ganze staatliche Macht einzusetzen, wenn es nötig ist... Ich habe die Überzeugung, daß weder die kommunistische Bewegung uns über den Haufen rennen wird, noch die nationalsozialistische. Auch letztere Bewegung wird von selbst wieder abflauen, wenn die Leute lang genug ihre Sprüche dem Volk vordoziert haben." Diese Hoffnung von Eugen Bolz trog. Die nationalsozialistische Bewegung flaute nicht ab, sondern wuchs immer stärker an, auch wenn Württemberg eine 'Insel im Krisenmeer' blieb.
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933, zu der keinerlei Notwendigkeit bestanden hatte, nutzten die Nationalsozialisten ihre Chance und übernahmen innerhalb weniger Monate die komplette Macht in Deutschland. In Württemberg fand die Machtübergabe an die Nationalsozialisten sogar unter parlamentarischen Rahmenbedingungen statt. Der neue nationalsozialistische Ministerpräsident Murr wurde vom Landtag in sein Amt gewählt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Eugen Bolz bereits keine Illusionen mehr über den Charakter des neuen Regimes. Auf einem Parteitag der Christlich-Sozialen Schwesterpartei in Österreich am 5. Mai 1933 in Salzburg weigerte er sich, etwas über die Verhältnisse in Deutschland zu sagen. Allerdings drängte er seine Parteifreunde, aus den Erfahrungen in Deutschland zu lernen.
Einige Wochen danach, am 19. Juni, nahmen die Nationalsozialisten diese Aussage zum Anlass, um Eugen Bolz zu einer Vernehmung in das Hotel Silber, dem Sitz der Politischen Polizei, einzubestellen. Gleichzeitig organisierte man einen Massenprotest von 'empörten Volksgenossinnen und Volksgenossen' mit massiven Bedrohungen und Beschimpfungen vor dem Hotel Silber, sodass Eugen Bolz in Schutzhaft genommen werden musste - so die nationalsozialistische Presse. Anschließend wurde er bis zum 12. Juli 1933 auf dem Hohenasperg eingesperrt.
Auch wenn Eugen Bolz nach relativ kurzer Zeit wieder aus der Haft freikam, hörten die Schikanen nicht auf. Obwohl er 14 Jahre württembergischer Minister und über 20 Jahre Reichs- und Landtagsabgeordneter gewesen war, wurde er mit der Pension eines Amtsrichters abgespeist - der Position, die er vor seinem Eintritt in die Politik innegehabt hatte.
Besonders betroffen machte ihn die Reaktion vieler Volksgenossinnen und Volksgenossen, die ihn bis 1933 sehr hofiert hatten, nun aber die Straßenseite wechselten, wenn sie seiner gewahr wurden, um ihn nicht in aller Öffentlichkeit grüßen zu müssen. Nur wenige politische Freunde, aber auch ehemalige politische Gegner trafen sich weiterhin mit ihm.
Im März 1942 kam es zu eingehenden Gesprächen zwischen Carl Goerdeler, dem Kopf des zivilen Widerstandes gegen Hitler, der von Robert Bosch finanziert wurde, und Eugen Bolz in Stuttgart. 1944 erklärte sich Bolz bereit, in einem Kabinett Goerdeler, nach einem geglückten Attentat gegen Hitler, das Kultusministerium zu übernehmen.
Nach dem Scheitern des Aufstandes gegen Hitler am 20. Juli 1944 geriet auch Eugen Bolz schnell, wenn auch zunächst eher zufällig, ins Visier der Gestapo und wurde am 12. August 1944 aufgrund einer Denunziation verhaftet. Nach schweren Folterungen fand seine Verhandlung vor dem Volksgerichtshof unter Leitung von Roland Freisler am 21. Dezember 1944 statt s. Foto. Nach nur siebenstündiger Verhandlung wurde u.a. Eugen Bolz zum Tode verurteilt. Erwartungsgemäß wurden alle Anträge auf Begnadigung abgelehnt. Am 23. Januar 1945 um 15.43 Uhr, wie die Sterbeurkunde belegt, wurde Eugen Bolz in Berlin enthauptet. Er war der einzige Regierungschef der Weimarer Republik, der sich am Staatsstreich des 20. Juli 1944 beteiligt hatte.
Leider ist es in diesem Jahr nicht gelungen, in der, allerdings stark umgebauten Villa, die Eugen Bolz in Stuttgart zwischen 1932 und 1944 bewohnt hatte, eine Erinnerungsstätte für ihn einzurichten, um kontinuierlich an seine Verdienste für dieses Land in schwierigsten Zeiten zu erinnern.
Thomas Schnabel